Eine Liebesgeschichte

Als U. eine halbe Stunde später anruft, liegt sie noch im Kreißsaal. Sie sagt ihm, dass sie jetzt eine Tochter haben. Er will sofort kommen. Aber sie sagt, er solle die Nacht ruhig noch in Berlin bleiben, heute feiere doch sein Freund F. Polterabend.

Sie weiß, dass er unbedingt dorthin wollte. Und weil ihr Herz so froh ist, möchte sie ihm unbedingt etwas Gutes tun. Auf die Idee, dass er tatsächlich lieber zu ihr gefahren wäre, kommt sie nicht. Also bleibt U. in Berlin.

Besonders viel Spaß bereitet ihm die Party nicht. In Gedanken ist er bei M. Warum will sie ihn in diesem bedeutenden Moment nicht bei sich haben? Wie sieht seine Tochter aus? Seine Tochter – wie sich das anhört! Er stellt sich eines dieser Babys aus der Werbung vor.

Am Morgen des 1. Novembers fährt U. mit W. in dessen altem Wartburg nach N. Es ist Sonntag, alle Blumengeschäfte haben geschlossen. Unterwegs in einem Garten sehen sie zum Glück eine Frau. Die verkauft ihm Herbstastern mit sehr unauffälligen, kleinen bläulichen Blüten und dafür umso längeren Stielen. Wie Peitschen, denkt er.

Als er die Tür zum Krankenzimmer öffnet, sieht er M. zwischen zwei anderen Frauen liegen. Junge Mütter wie sie. Neben ihnen stehen Vasen voller roter Rosen. Unter den mitleidigen Blicken der anderen hält er M. seinen Strauß entgegen. Dann endlich sieht er sein Töchterchen: Dem Werbebaby in seiner Vorstellung ähnelt sie eher nicht. So richtig süß sieht sie nicht gerade aus, sondern ziemlich zerknautscht. Aber das ist wohl normal bei Neugeborenen. Er nimmt sie auf den Arm und schaut zu M. Jetzt sind sie Mutter, Vater, Kind.“

von Juliane von Wedemeyer, 2015, Auszug aus der Liebesgeschichte für M. und U.